Arcane

Staffelfinale: 20.11.2021 | Anbieter: Netflix | Episoden: 9 | FSK: 16 | Land: USA | Genre: Fantasy, Animation


Kritik

Seit dem Jahr 2009 begeistert das Free-to-Play-MOBA "League of Legends" seine Fans, in der Spitze zählte das sehr erfolgreiche Videospiel sogar 100 Millionen Spieler pro Monat. Obwohl ich selbst ein Gamer bin, habe ich mich für "LoL" nie interessiert, die Art des Spiels, in Verbindung mit der berühmt-berüchtigten toxischen Fanbase, haben sogar zu einer regelrechten Abneigung gegenüber dem Spiel beigetragen. Entsprechend war die neue Netflix-Animationsserie "Arcane" nicht gerade etwas, worauf ich mich gefreut habe, zumal Videospielverfilmungen, wie wir alle wissen, nur in den seltensten Fällen funktionieren. Trotzdem hat Entwickler Riot Games in den letzten Jahren damit angefangen, die Hintergrundgeschichten der über 140 Heldencharaktere des Spiels auszubauen, und im Zuge dessen hat man sich mit dem eher unbekannten französischen Animationsstudio Fortiche zusammengetan, um eine sechsstündige Serie über einige der Charaktere aus dem Boden zu stampfen. Und diese sechs Stunden sind der absolute Wahnsinn und völlig aus dem nichts das Beste, was die Serienwelt in diesem Jahr zu bieten hatte.

 

"Arcane" folgt dem Geschwisterpärchen Vi und Powder (später Jinx), die im heruntergekommenen Stadtteil Zhaun um ihr Überleben kämpfen, während die Menschen in der anderen Hälfte der Stadt, Piltover, im Überfluss leben. Wenn man sich diese Ausgangsposition der Handlung vor Augen führt, erkennt man schnell, dass "Arcane" zunächst eine altbekannte Geschichte erzählt. Der Klassenkampf zwischen Arm und Reich, zwei sympathische Schwestern im Zentrum und ein Bösewicht, der mit seinem vernarbten Gesicht und dem roten Auge richtig böse aussehen soll. So atemberaubend die Serie auch aussieht, in den ersten beiden Folgen deutet zunächst nicht allzu viel auf die herausragende Klasse von "Arcane" hin. Nicht dass ich die beiden Auftaktepisoden schlecht fand, nur ganz wollte der Funke bei dieser augenscheinlichen Style-over-Substance-Serie nicht überspringen. Doch was habe ich mich getäuscht! Die dritte Episode, die gleichzeitig das Ende des ersten Aktes markiert, liefert einen phänomenalen und gänzlich unerwarteten Höhepunkt ab, die die Serie und ganz besonders ihre Charaktere in gänzlich neue Gefilde führt. Die Überraschung will ich gar nicht vorwegnehmen, stattdessen möchte ich lieber die großartige Erzählweise der Serie hervorheben. Was anfangs so oberflächlich erscheint, entpuppt sich schnell als eine richtig smarte Erzählung, die sich nicht lange mit Exposition aufhält und ihren Zuschauern intellektuell auch etwas zutraut. Immerhin ist es gar nicht so einfach bei den zahlreichen Charakteren und dem konstanten World-Building den Überblick zu bewahren und "Arcane" stellt seine Charaktere vor unzählige moralische Dilemma, gibt jedem Einzelnen von ihnen eine beeindruckende Tiefe und die Story dreht sich um Themengebiete wie Politik, Wissenschaft und Gesellschaftspolitische Themen. Vorwissen aus dem Videospiel ist dabei aber zu keinem Zeitpunkt nötig.

So erreicht die Handlung nicht nur eine beeindruckende Komplexität und Tragweite, auch die Charaktere funktionieren hervorragend und man schließt sie sehr schnell ins Herz. Allen voran das Geschwisterpärchen um Vi und Jinx, deren Schicksal unmittelbar miteinander verbunden ist und die nicht nur die coolsten Charaktere der jüngeren Film- und Seriengeschichte sind, sondern auch sehr viel Herz zeigen. Letzten Endes lässt sich die Brillanz der Handlung und ihrer Charaktere an einem Charakter ganz besonders ablesen: Silco aka der oben angesprochene Bösewicht mit dem vernarbten Gesicht und dem roten Auge. Ich habe lange keinen so guten Bösewicht gesehen wie ihn. Tatsächlich verschwimmen im Verlauf der Serie die Fronten auch so sehr, dass ich ihn eher als ambivalenten Charakter und nicht als Bösewicht bezeichnen würde. Silcos Motivation wird immer nachvollziehbarer und seine Beziehung zu den anderen Charakteren geht in Mark und Bein über, was ihn zu einem fantastischen und so lebendigen Charakter macht, der eine beeindruckende Entwicklung hinlegt. Und diese Entwicklung steht stellvertretend für eigentlich alle Charaktere, die richtig schön herausgearbeitet sind. Und so fällt es mir schwer, überhaupt einen Kritikpunkt an der Serie zu finden und selbst nach reiflicher Überlegung ist mir nichts eingefallen, was mich in irgendeiner Weise gestört hätte. Ich war lediglich skeptisch, ob die Staffel auch zu einem guten Abschluss gebracht werden würde und habe dann ein überwältigendes Finale bekommen, dessen letzte Szene perfekter nicht hätte sein können und somit für ein unvergessliches Ende sorgt.

Obwohl ich die Handlung und ihre Charaktere nun über den Klee gelobt habe, liegt das wahre Highlight der Serie dennoch woanders: Dem Animationsstil. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal einen solch phänomenalen Look gesehen habe. Jedes Bild ist ein Gemälde und "Arcane" ist eine der ganz wenigen Filme/Serien, die man quasi in jedem Frame pausieren könnte und sich den Screenshot in die Wohnung hängend könnte. Eine ähnliche visuelle Klasse habe ich in den vergangenen Jahren höchstens bei "Blade Runner 2049" oder im Animationsgenre bei "Spider-Man: A New Universe" gesehen. Der Mix aus der Cel-Shading-Grafik des Videospiels, Anime-Elementen und dem Wechsel zwischen handgezeichneten Bildern mit CGI-Effekten sorgt für einen überragenden Look. Hinzu kommt aber auch der unbedingte Stilwillen des Studios, dass sich nicht auf dem tollen Look ausruht, sondern immer wieder mit aufwendigen Spielereien für Begeisterung sorgt. Allen voran in den spektakulären Action-Sequenzen. Angeblich hat die Entwicklung der Serie sechs Jahre gedauert (!) und pro Tag wurden 0,7 Sekunden der Serie fertigstellt, aber dieser Arbeitsaufwand hat sich definitiv gelohnt und die Liebe zum Detail springt aus jedem Frame. Der Wahnsinn!

Und dann ist da noch dieser Soundtrack. Riot Games hat sich nicht Lumpen lassen und mehrere Lieder extra für die Serie produzieren lassen. Der gelungene Titelsong stammt von Imagine Dragons und auch Größen wie Sting und Woodkid haben neue Songs zur Serie beigesteuert. Und dabei ist es völlig egal, welches Genre die Musik bedient. "Arcane" enthält gefühlvolle Balladen, Electro, Rock, Rap und Pop-Songs. Es gibt nichts was es nicht gibt und erstaunlicherweise funktionieren sämtliche Songs in der Serie. Das führt also dazu, dass "Arcane" auch noch einen der besten Soundtracks des Jahres besitzt. Mein Gott, mir gehen langsam die Superlativen aus...

Was dabei ebenfalls Hand und Fuß hat, ist die ungewöhnliche Veröffentlichungsstruktur von Netflix. "Arcane" besteht aus neun 40-minütigen Episoden, die an drei Samstagen in Folge jeweils im Dreierpack veröffentlicht wurden. Anders als bei "Haus des Geldes" macht diese Aufteilung und die doppelte Drei-Akt-Struktur aber auch Sinn, so kommt es zwischen der dritten und vierten Episode beispielsweise zu einem größeren Zeitsprung. 

 

Fazit

Wow, wow und noch mal wow! Ich bin alles andere als ein "League of Legends"-Fan aber "Arcane" ist ohne Frage die beste Serie des Jahres! Was anfänglich wie eine oberflächliche Geschichte über die Schere zwischen Arm und Reich aussieht, begeistert spätestens ab der dritten Episode mit einer smarten Erzählstruktur und tiefgreifenden politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Themen. Dazu sind die Charaktere, allen voran Vi und Jinx, liebenswürdig, tiefgründig und einfach saucool. Zudem machen sämtliche Charaktere und gerade der überragende Bösewicht Silco, eine beeindrucke Wandlung durch. Das eigentliche Highlight ist jedoch der herausragende Animationsstil und der unbedingte Stilwillen des Animationsstudios, die jeden Frame der sechsstündigen Serie zu einem Gemälde machen. Hinzu kommt auch noch ein außergewöhnlicher Musik-Mix, mit Songs aller unterschiedlichen Genres, von Größen wie Imagine Dragons, Sting und Woodkid. Story, Charaktere, Animationen und Soundtrack sind auf allerhöchstem Niveau und ich habe schlichtweg NICHTS zu kritisieren. "Arcane" ist ein sensationeller Überraschungshit und ein Muss für alle Netflix-Abonnenten, egal ob "LoL"-Fan oder nicht.

 

9/10


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Poster&Trailer: © Netflix